Offener Brief an den Kanton Luzern: Kindeswohl von abgewiesenen Kindern und Jugendlichen in der Nothilfe schützen
Eine neue Studie der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM) stellt fest: Die Behörden verstossen seit Jahren gegen die Bundesverfassung und die UN-Kinderrechtskonvention.
Mit einem offenen Brief wenden wir uns direkt an die zuständigen Behörden im Kanton Luzern. Wir fordern vom Kanton Luzern, die Handlungsempfehlungen der Studie ernst zunehmen und das Kindeswohl der abgewiesenen Kindern und Jugendlichen in der Nothilfe zu schützen.
Der Offene Brief wurde am 21. Oktober an die Entscheidungsträger:innen des Kantons Luzern geschickt.
An die Entscheidungsträger:innen des Kantons Luzern
Sehr geehrte Michaela Tschuor
Sehr geehrte Ylfete Fanaj
Sehr geehrter Alexander Lieb
Sehr geehrte Silvia Bolliger
Zum ersten Mal hält eine breitangelegte, wissenschaftliche Studie des Bundes [1] fest: «Kinder und Jugendliche, die in der Nothilfe leben, sind grossen Risiken in Bezug auf ihr Wohl, ihre Gesundheit und Entwicklung ausgesetzt. Ihr Wohlergehen ist stark gefährdet.» Besonders besorgniserregend, schreiben die Studienautorinnen, ist der schlechte psychische Zustand. «Die soziale Isolation, die sie umgebende Perspektivlosigkeit und ihre Ohnmacht in der Folge von Entscheiden, an denen sie nicht partizipieren können – das alles macht sie verletzlich und schwächt sie dauerhaft». Die Kinder erleben eine Reihe «verstörender und kontinuierlich traumatisierender Ereignisse» in den Kollektivunterkünften.
Das Rechtsgutachten zur Studie kommt zum Schluss, dass die gegenwärtige Situation der Kinder in der Nothilfe geltendes Recht verletzt. Sie verstösst gegen die UN-Kinderrechtskonvention sowie gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen zum Schutze von Kindern und Jugendlichen.
Wir alle, die diesen Brief unterzeichnen, möchten Sie bitten, die Handlungsempfehlungen der Studie [2] ernst zunehmen und umzusetzen:
Langzeitbezüge (mehr als ein Jahr) von Nothilfe durch Kinder und Jugendliche vermeiden
Bei einem Langzeitbezug die Lebensbedingungen zusätzlich verbessern
Soziale Teilhabe sicherstellen
Familiengerechte Unterkünfte mit Rückzugs- und Lernmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zuweisen
Gezielte Förderung ermöglichen
Unterstimulation bei Kindern im Vorschulalter verhindern
Zugang zur Volksschule und zur Berufsbildung verbessern
Zugang zu medizinischen Behandlungen erleichtern
Psychologische Betreuungsangebote bereitstellen
Psychologische Unterstützungsprogramme entwickeln
Freizeitbeschäftigungen zugänglich machen
Klare Zuständigkeiten und Abläufe für den Umgang mit Gefährdungen definieren
Einheitliche und verbindliche Standards definieren und deren Einhaltung regelmässig überprüfen
Die Studie hält fest: Es sind Politik und Behörden, die handeln müssen! Wir hoffen, dass der Kanton Luzern aktiv wird und Sie sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen einsetzen. Herzlichen Dank!
[1] Lannen, Patrizia; Paz Castro, Raquel; Sieber, Vera (2024): Kinder in der Nothilfe im Asylbereich. Systematische Untersuchung der Situation in der Schweiz. Herausgegeben von der Eidgenössischen Migrationskommission EKM. Bern.
[2] Gemäss Handout der EKM an der EKM-Tagung zur Studie, 6.9.2024.